Drei Wertheraner bei den Marburger Schachtagen

Marburg (ehu). Karl Ulrich Goecke, Ekkehard Hufendiek und Michael Henkemeier haben an der Erstausgabe der Marburger-Schachtage teilgenommen. Das siebenrundige Turnier fand in der letzten Oktoberwoche von Donnerstag bis Sonntag in der wunderschönen Universitätsstadt Marburg statt.

Die Spielbedingungen waren gut, die Resultate ebenfalls – zumindest für Kalle und Michael. Die A-Gruppe war an der Spitze mit neun Titelträgern und Titelträgerinnen – darunter die Großmeister Li Min Peng (Elo 2554) und Hagen Poetsch (Elo 2470) – ziemlich gut besetzt.

Der Schiedsrichter plusterte sich auf: Als ich ihn vor Turnierbeginn um Auskunft zur Regelung des Fotografierens bat, verweigerte er mir die Antwort mit dem wortreichen Hinweis, dass er sich dazu noch nicht äußern wolle, weil er bei mehreren ähnlichen Einzel-Anfragen zu viele Worte darüber verlieren müsse. Er sage dazu erst bei der Begrüßung am Mikro etwas. Was er dann aber vergaß und erst im Nachsatz anfügte.

An alle Pappnasen mit Schiedsrichterschein: Die Antwort „Fotografieren nur in den ersten zehn Minuten ohne Blitz“ ist schnell gesprochen – versucht’s mal.

Kalle landete schließlich mit respektablen 5 Punkten auf dem 10. Platz und Michael wurde mit 3,5 Punkten 64..  Beide verzeichneten somit leichte DWZ- und Elogewinne.

Für mich hingegen entwickelte sich das Turnier zur Katastrophe: zwei Punkte aus sieben Partien, Eloperformance 1591, Platz 104. Ich muss den Spielern der ersten Mannschaft demnächst wieder die Schuhe putzen.

Kalle traf in der Schlussrunde am zweiten Brett auf Großmeister Hagen Poetsch . Sogar der Turniersieg war für ihn zu diesem Zeitpunkt noch möglich. Die Partie jedoch ging schief. Im Bild unten steht er – auf der Empore der Führenden – schon platt.

Das ist die Stellung als Diagramm:

Bauernminus, König in der Mitte, Weiß droht Dxf7. Ich weiß nicht, was unser Vorsitzender hier gezogen hat – vielleicht Lxh2+. Zwar fotografierte ich später unter seinem Widerwillen den Durchschlag, doch ließ sich die Notation gegen die Graustufe des Blattes nicht entziffern. Ist auch egal: Poetsch ließ ab dem obigen Stellungsbild nichts mehr anbrennen.

Er sicherte sich mit 6 Punkten verdient den Turniersieg und die 1000 Euro Preisgeld – Kalle ging leer aus.

Bei Michael habe ich des Öfteren mal aufs Brett geguckt und immer wieder seine Standhaftigkeit gegen bessere Spieler bewundert. In der ersten Runde verlor er sehr unglücklich, indem er seine Dame zu früh losließ. Statt auf dem Feld c5 „fiel sie ihm ein Feld zu früh aus der Hand“. Das Missgeschick ließ sich nicht korrigieren: Sein Gegner (DWZ 2124) reklamierte die Berührt-Geführt-Regel und Michael gab auf.

Hier besiegt Michael in der Schlussrunde Heinrich Groß (Elo 1915). Leider vergisst er, das Partieformular abzugeben. Deswegen wird das Ergebnis zunächst als Remis geführt, aber später korrigiert.

Ich produzierte eine Katastrophe nach der anderen. Selbst meine Gewinnpartie zum Auftakt des Turniers gegen Udo Schneider (DWZ 1634) ging völlig daneben. Nur Fortuna half: Statt mich forciert mattzusetzen, stellte mein Gegner einzügig die Dame ein.

In der zweiten Runde folgte dann ein nerviges Vereinsduell:

Zur Begrüßung hab ich noch versucht, Kalle die Hand zu zerquetschen. Er rettet sich in ein gequältes Lächeln.

Ich hatte mich mit Schwarz auf eine Variante vorbereitet, die genau aufs Brett kam – Neo-Grünfeld. Nach zehn Zügen besaß ich eine halbe Stunde Zeitvorteil und Kalle bot in ausgeglichener Stellung Remis. Er wolle sich Marburg angucken, sagte er mir später und warf mir in den folgenden Tagen immer wieder Sturheit vor.

Denn ich lehnte ab und wich später einer angebotenen Zugwiederholung aus. Dabei übersah ich Kalles einzügigen Springerausfall und stand prompt klar auf Verlust. Ich spielte trotzdem weiter. Kalle seufzte. Bei der kleinsten Nachlässigkeit im Aufschreiben wies er mich sofort auf meine Notationspflicht hin. Er war genervt, ich spielte weiter.

Unser Endspiel aus meiner Sicht als Schwarzer mit zwei Bauern im Minus geht noch mehrere Züge weiter. Wenn Kalle wirklich Marburg hätte sehen wollen, hätte er mir ja jetzt Remis anbieten können – der Heuchler. Ich hätte abgelehnt.

In meinen folgenden Partien rutschte ich in der Tabelle immer tiefer bergab. Die größte Katastrophe passierte in der Schlussrunde: Ich verhunzte ein Leichtfigurenendspiel mit einem Mehrbauern. Jedes Mal, wenn ich zum Entspannen vom Stuhl aufstand, drängten mich Michael und Kalle, Remis zu machen. Ich verhöhnte sie à la Mirko Czentovic. Ein letztes Bauernopfer war zuviel. Als ich aufgab und damit die letzte  Partie des Turniers beendete, klatschten die Umstehenden Beifall. Ich vermute aus Begeisterung. Kalle aber meinte, sie applaudierten, weil sie froh waren, endlich nach Hause zu können.

Später mobbten mich Michael und Kalle die ganze Heimfahrt über wie Schulkinder. Sie sagten, dass ich einfach nur dumm sei und wir drei Stunden früher hätten zuhause sein können. Hätte es draußen gehagelt, hätten sie mich sicher in der Dunkelheit auf einem Autobahnparkplatz ausgesetzt – aber es hagelte ja nicht.

Genugtuung dürfte ihnen aber ein paar Tage zuvor die Hinfahrt verschafft haben:  Um mich umstandslos am Straßenrand aufgabeln zu können, nötigte Michael mir eine 1,6 Kilometer-Strampelei mit dem Fahrrad ab. Warum sollte er mich auch direkt von zuhause abholen und dann 251 statt nur 250 Kilometer fahren müssen? So wartete ich am vereinbarten Treffpunkt zehn Minuten im Nieselregen. Feucht und kalt wie eine Hundeschnauze drückte ich mich in den Fond seines Hondas.

Im Kontrast dazu lenkte Michael seinen Wagen anschließend vom Fahrtziel weg, fuhr direkt bis vor Kalles Haustür, stieg in aller Ruhe aus, klingelte und fragte unseren Präsidenten in seinem mollig-warmen Hausflur höflich, ob er schon mitfahrbereit sei. Ich spreche seitdem kein Wort mehr mit beiden.

Hier ein Link zur Turniertabelle nach sieben Runden auf chess-results: https://chess-results.com/tnr757207.aspx?lan=0&art=4&fed=GER&turdet=YES

 

 

Schreibe einen Kommentar