Werther (ehu). Ilja Schneider trägt den zweithöchsten Titel der Weltschachorganisation Fide: Internationaler Meister. Die aktuelle Elozahl des 40-Jährigen liegt bei 2421 Punkten, womit er zurzeit auf Platz 94 der besten Schachspieler in Deutschland rangiert. Als topgesetzter Titelträger blieb er als Einziger im Feld der 64 Teilnehmer ungeschlagen.
Der Abstand zum Setzlistenzweiten, Jasper Holtel vom Schachklub Doppelbauer Kiel, betrug mehr als 50 Elopunkte. Somit ging Schneider als hoher Favorit ins Turnier ( Zumindest für die Zeitung und damit für schachliche Laien habe ich das einfach mal so eingeordnet).
Das Aufeinandertreffen der Topgesetzten in der fünften Runde entschied Schneider für sich. Und zwar nachdem er laut eigener Angabe die schönste Kombination seiner neun Partien gespielt hatte. Das Diagramm unten zeigt einen Auszug der Kombination, bei der Schneider zu einer zweifachen Springergabel kam.
Die erste Gabel ist im Diagramm zu sehen. Nach der schwarzen Antwort Ld8 mit einer scheinbaren Fessel des weißen Springers schlägt der Gaul trotzdem den Turm auf c8. Bedient sich der schwarze Läufer nun in einer Beispielvariante am weißen Turm auf a5, hüpft der Springer weiter nach d6 zur zweiten Gabel – Schwarz verliert Material:

Das Foto unten zeigt den Schluss der Partie – Holtel greift zwar noch zu seinem König, gibt aber im nächsten Moment auf:
Gespielt wurden neun Partien mit zehnminütiger Bedenkzeit plus fünf Sekunden Zeitgutschrift pro Zug.

Am Ende sicherte sich Ilja Schneider – von Beginn an in Führung liegend – mit 7,5 Punkten souverän den ersten Platz und ein Preisgeld in Höhe von 250 Euro sowie den Paul-Sahrhage-Pokal. Mit dem Pokal erinnert der SK Werther an das hohe Engagement seines verstorbenen Ehrenmitglieds.
Ilja Schneider lebt mit seiner Familie in Hannover, wo er nach eigener Angabe als Heimleiter für Geflohene arbeitet. Er spielt für die Schachfreunde Berlin in der Bundesliga. 2015 und 2018 erkämpfte er sich den Titel Deutscher Meister im Blitzschach.

Im klassischen Schach erspielte er sich bislang zwei Großmeisternormen. Nur eine Norm fehlt ihm, um den höchsten Titel der Fide „Großmeister“ zu erhalten. „Ich bin kein Profi, ich spiele nur sehr viel Schach“, sagt er über seine Ambitionen.
Sein Wikipedia-Eintrag zitiert ein bemerkenswertes Superlativ: „bester Kaffeehausspieler Deutschlands“. Die Quelle des Zitats indes bleibt ungenannt. Gemeint ist Schneiders mutiger und unorthodoxer Spielstil, bei dem er auch vor Figurenopfern nicht zurückschreckt.
Aus Sicht seiner Gegner auf Amateurniveau eine durchaus angsteinflößende Charakterisierung. Doch trat Ilja Schneider beim Schnellschachturnier in Werther eher solide und ökonomisch auf. Keinmal geriet er in Zeitnot, dreimal vereinbarte er ein Unentschieden. In der sechsten Runde willigte er dabei sogar trotz Gewinnstellung in eine frühe Zugwiederholung ein.
Den voreiligen Friedensschluss bereute er jedoch. Erst in der Analyse ging ihm ein Licht auf und er schlug sich die Hand vor die Stirn: „Da habe ich einen halben Punkt liegengelassen.“ Mit einem simplen Bauernvorstoß nach g6 hätte Schneider die gegnerische Dame oder den gegnerischen Springer erobert.
Nutznießer von Schneiders voreiliger Friedfertigkeit war Jonas Freiberger. Der Spitzenspieler des SK Werther lachte über das beidseitige Missachten des niedlichen Bauernvorstoßes und nannte das Ende einen schachlichen „Witz“. Die folgende Analysestellung auf dem Handy zeigt die Gewinnstellung nach dem verpassten Schlusszug g6 an. Der Rechner taxiert den Vorteil auf sieben Bauerneinheiten (auch das angezeigte Springeropfer auf g6 bringt nichts ein):


Dank dem Eröffnungswitz ergatterte Jonas letztlich hinter dem punktgleichen Zweitplatzierten Ilija Jonas Kettler von der SG Bünde den dritten Platz. Dabei konterte er in der Schlussrunde überzeugend den Mitfavoriten Jasper Holtel aus, der am Ende recht unglücklich nur Achter wurde. Im Video ist ein kleiner Teil der Schlusssequenz zu sehen bis kurz vor der Aufgabe Holtels:
Die drei Erstplatzierten haben jeder 7,5 Punkte aus neun Partien erspielt. Hier ist das Treppchenbild:



Die stärkste Leistung im Übertreffen des Erwartungswertes zeigte sicher Kirsten Bünte:

Die Spielerin des Rhedaer Schachvereins und Zweite Jugendwartin im Schachbezirk Bielefeld trat mit einer DWZ von 1782 an und holte sage und schreibe sieben Punkte – sie wurde am Ende Fünfte. Dabei verlor sie nur gegen die Topgesetzten Jasper Holtel und Ilja Schneider. Nach der Partie gegen den späteren Sieger hörte ich sie sagen „keine Chance“, dabei erschien mir die Stellung zumindest zwischenzeitlich im Endspiel ausgeglichen zu sein. Erst eine Springergabel des Meisters setzte der Partie ein abruptes Ende.
Die Vereinsspieler des SK Werther schnitten ebenfalls gut ab: Anton Weßling holte 5,5 Punkte, stürmte damit vom Setzlistenplatz 44 auf Platz 17 vor und ergatterte einen Ratingpreis;

Mesud Mujanovic landete mit 5 Punkten auf Platz 22:

Ebenfalls fünf Punkte holte Felix Linnenbrügger auf Platz 27:

Einen halben Punkt dahinter folgte Kevin Deniz auf Rang 31; punktgleich vor Joshua Ruschhaupt, der das Turnier auf Rang 37 abschloss; und Insa Marie Schwittay beendete das Turnier mit 4 Punkten auf Rang 43.
Hier in loser Reihenfolge ein paar Fotos und Videos. Das zweite Video zeigt Stephan Kanditt, der einst als Jugendtrainer unseren Verein geprägt hat und unter anderem das Schloß-Open initiierte, bis er vor mehr als zwanzig Jahren den Verein für immer verließ.


















Hier der Link zum Endstand nach neun Runden auf chess-results: https://s2.chess-results.com/tnr1238423.aspx?lan=0&art=1&fed=GER&turdet=YES&SNode=S0