Outside-Schach

Was macht ein frustrierter Schachspieler am Sonntagnachmittag, nachdem die Mannschaft mal wieder verloren, man selbst schlecht und die anderen noch schlechter gespielt haben?

In Werther führt das nicht dazu, Trübsal zu blasen, nein, statt dessen pilgert man in eine nahegelegene Kneipe. Dort findet dann zuweilen eine Art außerordentliche Hauptversammlung statt, so rege ist für gewöhnlich die Beteiligung.

Aber was bringt eine Horde halbwegs zivilisierter Menschen dazu, sich in einer verrauchten Kneipe bei zumeist schummriger Beleuchtung an einen Tisch zu quetschen und dann stundenlang lautstark darüber zu philosophieren, welche Strategie die richtige und welches kombinatorische Feuerwerk das beste sei?

Man belagert den größten Tisch und höchst willkürlich wird ein Opfer herausgegriffen und dessen Partie seziert. Der Arme muss dann Rede und Antwort stehen, was er sich denn wieder bei diesem oder jenem Zug gedacht habe, falls er sich überhaupt etwas dabei gedacht hat. Dabei verstellen diverse Teller und noch mehr Gläser den Blick eines manchen zum Schachbrett. Um dies zu beheben, wird von unserer dienstältesten Koryphäe R. G. schon mal das eine oder andere Weizenglas in die Horizontale befördert. Auch erfreut man sich immer wieder seiner lebhaft vorgetragenen Schachanekdoten, die ihm in seiner jahrzehntelangen Karriere widerfahren sind. Zu gerne würde ich an dieser Stelle, eine solche wiedergeben, aber es ist einfach unmöglich, seine unnachahmliche Art in schriftliche Form zu bringen – das muss man schon live erleben!

Die Stimmung ist feucht-fröhlich, würde mancher nur ebenso schnell die Schachfiguren ziehen wie er sein Alt nachbestellt, so käme er nicht regelmäßig in Zeitnot. Im übrigen reden alle durcheinander, und die Vorschläge sind selten wirklich hilfreich oder sinnvoll, wie die heimische Computeranalyse nachher zeigt. Zugvorschläge unseres experimentierfreudigen Gambitexperten A. D. werden meist pauschal mit »Blödsinn …« unwirsch abgelehnt. In der Regel wird so lange analysiert, bis Verlustpartien zu Gewinnstellungen erklärt werden und umgekehrt. Nach mehrstündiger Analyse und mit einigen Bieren intus geht man dann am Abend mit der Erkenntnis nach Hause, daß alle mal wieder unnötig verloren haben, die Mannschaft eigentlich hätte gewinnen müssen und beim nächsten Mal alles besser wird.